Neue-Musik-Reihe "Frequenzen" in Frankfurt, Konzert Rolf Riehm am 17.11.2004
Sendemanuskript

Musik 1 Rolf Riehm: "Toccata Orpheus" für Gitarre

Hoffmann Teilweise sind mehr die Bewegungen auf dem Instrument notiert als die Klänge selbst. So hat man zum Beispiel an einem bestimmten Ort auf dem Griffbrett einen Akkord zu greifen und jenseits des Griffes anzureißen. Zusätzlich befinden sich in der Partitur Anmerkungen, in welcher Gestik er sich die einzelnen Aktionen ausgeführt vorstellt. Das kann bis ins Theatralische hinein reichen, bleibt aber immer auf den Klang bezogen. Er versucht zu umschreiben, was in dem Klang drinstecken kann. Und dann spielt man etwas und das, was klingt, ist nur noch Restgeräusch der Bewegung, die Spur dessen, was der Interpret auf der Bühne zu tun hat.

Einer regelrechten Choreographie der Hände muss der Frankfurter Gitarrist Robin Hoffmann folgen, wenn er das Gitarren-Solostück "Toccata Orpheus" von Rolf Riehm spielt. Die Hände tanzen das Griffbrett hinauf und hinunter, die Arme überkreuzen sich und die Finger reißen an allen möglichen und unmöglichen Stellen die Saiten an. Nebengeräusche wie Scheppern und Kratzen entstehen, wenn die Hand übers Instrument streicht und den Klang der Saiten dämpft.
Das Stück fordert dem Interpreten eine technische Höchstleistung ab. Diese steht symbolisch für das Thema des Stücks. Rolf Riehm sieht Orpheus als eine Figur, die in der Lage gewesen war, die Ordnung der Natur aus den Angeln zu heben - ein Akt der Rebellion, der eben nur mit äußerster Anstrengung realisiert werden kann.

Hoffmann Er spricht von dem Anarchisten Orpheus, der sich gegen die bürokratische Götterwelt zur Wehr setzt. Dieser Anarchist ist immer expressiv, was mir als Interpreten entgegen kommt -  das Überladene, das sich in einer Aktion zeigt, in der aller Ökonomie zum Trotz sehr unökonomische Bewegungen verlangt werden – in den Fingern spürt man das sehr intensiv.

Musik 1 weiter

"Toccata Orpheus" und andere Gitarrenstücke von Rolf Riehm, gespielt vom Frankfurter Duo Robin Hoffmann und Christopher Brandt, bildeten das siebte Konzert der in diesem Jahr gestarteten Frankfurter Neue-Musik-Reihe "Frequenzen". Der Komponist Volker Staub, einer der Initiatoren des Projekts:

Staub Robin Hoffman, Frank Gerhardt und ich haben uns nach einem Konzert getroffen. Wir hatten alle drei seit längerem den Gedanken im Kopf, in Frankfurt Musiker der Neuen Musik zusammenzuführen. Wir wollten ein Forum für Frankfurter Künstler - um sich kennen zu lernen und um die Arbeiten zu hören; ein Netzwerk für Neue Musik, weil wir die Situation haben, dass die Reihen mit neuer Kammermusik nach und nach weg gebrochen sind. Sie konnten nicht mehr finanziert werden, so dass eine Lücke im Bereich der zeitgenössischen Musik entstanden ist.

Volker Staub und seine Mitveranstalter reagieren damit auch auf eine Eigentümlichkeit der Frankfurter Musikszene.

Staub Ich finde, es ist interessant - an der Frankfurter Kulturpolitik überhaupt - dass man sich sehr nach außen orientiert. Leute aus Frankfurt - qualitativ hervorragend, international bekannte Künstler! - die hört man hier nicht. Das war der Grund. Das muss sich jetzt doch ändern.

"Frequenzen" heißt die Konzertreihe, weil der Begriff alle Arten von Musik symbolisieren kann. Denn inhaltlich soll die Reihe nicht auf eine bestimmte Stilrichtung festgelegt sein, im Gegenteil. Das Programm war bisher sehr vielgestaltig. Es spielten das mit Elektronik arbeitende Improvisationstrio Blank und die Gruppe HCD aus Musikern des Ensembles Modern; der Schlagzeuger Dirk Rothbrust führte Werke Frankfurter Komponisten auf; es gab "bioakustische Collagen" von Fledermaus-Aufnahmen unter Mitarbeit eines Biologen zu erleben, und zwei Portraitkonzerte stellten die Komponisten Claus Kühnl und Rolf Riehm vor.
Das Konzept, sich auf Frankfurter Künstler zu konzentrieren, scheint aufzugehen. Die Veranstalter haben bereits die Konzerte der beiden nächsten Jahre geplant, mit, statt wie dieses Jahr acht, je elf Veranstaltungen. Die Ressourcen der Stadt geben das offenbar her, und die Finanzierung des Ganzen über den Kulturetat der Dresdner Bank ist bis einschließlich 2006 gesichert.
Der Finanzpartner stellt auch den Ort der Veranstaltung. Im Erdgeschoß des neu gebauten Gallileo-Hochhauses der Bank, ganz in der Nähe der Frankfurter Oper, befindet sich der »raum für kultur«. Er ist für jedermann öffentlich zugänglich, ohne Kontrollen und Bodycheck. Nur eine Glaswand trennt ihn von der Straße. Sitzt man abends im Konzert, dann blickt man auf die beleuchteten Hochhäuser der Nachbarschaft und auf den geschäftigen Betrieb der Stadt.

Staub Was wir sehr schön finden ist, dass er von außen einsehbar ist. Dadurch ergibt sich sofort ein Kontakt zur Stadt. Alle Passanten, die vorbeikommen, sehen, wenn zum Beispiel der Schlagzeuger Dirk Rothbrust bizarre Instrumenten-Aufbauten hat, wenn er ein Stück von John Cage spielt, bei dem er unter anderem an einem Kaktus zupft. Da bleiben die Leute schon mal stehen und gucken, was hier los ist.

Die Reihe "Frequenzen" war von Anfang an sehr gut besucht, vielleicht auch, weil sie nicht in einem konventionellen Konzertsaal stattfindet, sondern in einem offenen Kulturraum, in dem es auch Lesungen, Diskussionen und Ausstellungen gibt. Außerdem setzen die Veranstalter von "Frequenzen" auf die Vermittlung der Musik. Komponisten und Interpreten kommentieren Werke oder erzählen über ästhetische Vorstellungen und Einzelheiten des Komponierens.
Rolf Riehm zum Beispiel arbeitet in seinen Gitarrenstücken viel mit den Nebengeräuschen, die beim Spielen entstehen. Er berichtete, was den Anstoß gab, sich mit diesen Geräuschen zu beschäftigen.Rolf Riehm zum Beispiel arbeitet in seinen Gitarrenstücken viel mit den Nebengeräuschen, die beim Spielen entstehen. Er berichtete, was den Anstoß gab, sich mit diesen Geräuschen zu beschäftigen.

Riehm Dieses Geräuschhafte spielt in "KlageTrauerSehnsucht", der ersten Komposition, die ich überhaupt für Gitarre geschrieben habe, eine Rolle. Ich bin nicht durch eigene Erfahrung draufgestoßen, sondern durch einen argentinischen Sänger, Atahualpa Yupanqui, der in dieser Art Gitarre gespielt hat. Vielleicht weil er nicht richtig spielen konnte oder weil das klassische Spiel ihn nicht interessiert hat - er rutschte geräuschhaft mit seinen Fingern die Bünde hoch. Dieses Gequietsche auf dem Instrument und dass er die Bünde nicht richtig getroffen hat, was ein leises Klirren ergab – ein hochexpressiver Bestandteil seiner Musik, tief beeindruckend. Das wollte ich  gerne komponieren.

Musik 2 Rolf Riehm: "Klage, Trauer, Sehnsucht" für zwei Gitarren