Frankfurter Gesellschaft für Neue Musik
hr2-kultur, Musikszene Hessen
16. Juli 2011, 15:05 Uhr – 17:00 Uhr (Beitrag 8'20)

Susanne Laurentius (Autorin), O-Töne

 

(Musik 1
Gold (Rüdiger Carl und Burkhard Kunkel)
hr-Archiv
0'00-0'15 (CD, Track 6, Archiv der FGNM)
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Autorin 1
Im September 2003 treffen sich in der Frankfurter Musikhochschule sieben Komponisten, Interpreten und Musikwissenschaftler. Ziel ihrer Zusammenkunft ist die Gründung eines an die Gesellschaft für Neue Musik Deutschland, kurz GNM, angebundenen, regionalen Vereins zur Förderung der zeitgenössischen Tonkunst: die Frankfurter Gesellschaft für Neue Musik, kurz: FGNM. Die Komponisten Robin Hoffmann und Hannes Seidl erinnern sich:

 

O-Ton 1 Robin Hoffmann
„Initialzündung war Jens Cording, der gewählt war als Präsident der GNM und szene-aktiven Kontakt hatte und da hat er uns gefragt.“


O-Ton 2 Hannes Seidl
„Da sind eben die klassisch ausgebildeten Neue-Musik-Musiker und Komponisten wie Improvisationsmusiker, Leute aus der Bildenden Kunst, die dann aber von ihrer Seite akustische Kunst gemacht haben, und die Idee war eben gerade zu sagen, man bleibt eben nicht in dem einen Zirkel, in dem man sonst immer ist und alle arbeiten nebeneinander und machen ihre Sache, sondern genau diese ganzen Bereiche, die alle in der selben Stadt arbeiten und leben mal zusammenzuführen.“

 

Autorin 2
Die regionale zeitgenössische Musikszene zu vernetzen und nach außen zu repräsentieren, diesen Anspruch kann der Verein sehr bald schon in einem fulminanten Start erfüllen. Denn wie es der Zufall will: Ralf Suermann von der Commerzbank, ehemals Dresdner Bank, plant 2003 gerade eine neue Konzertreihe mit aktueller Musik.

 

O-Ton 3 Ralf Suermann
„Mir war klar, das kann ich nicht alleine wuppen. Ich brauchte einfach wirklich Leute, die sich allgemein natürlich, aber auch regional sehr gut auskennen, denn irgendwann war klar, man muss ein Thema finden und da war das Thema Regionalität, also sprich: Was gibt es vor Ort an Ensembles, wen gibt es für Komponisten, die man spielen und zeigen und vorstellen kann und da war es ein wahnsinniger Glücksfall, dass eben zu diesem Zeitpunkt die Frankfurter Sektion der GNM sich gründete.“

 

Autorin 3
So startet am 7. April 2004 die Konzertreihe „Frequenzen“ im „Raum für Kultur“ im Galileo-Hochhaus der ehemaligen Dresdner Bank.


O-Ton 4 Ralf Suermann
„Das war ein Erfolg, der uns ja alle überraschte. Es gab ja im Grunde kein einziges Konzert, zumindest kann ich mich nicht daran erinnern, das schlecht besucht gewesen wäre. Es waren ja immer wirklich für die Verhältnisse im Raum für Kultur viele Besucher da. Manchmal so viele, dass die Tür überhaupt nicht mehr zu ging und dass viele Leute draußen standen.“

 

Autorin 4
Bis Dezember 2008 finden im „Raum für Kultur“ 51 Konzerte statt. Eindrucksvoll stellen sie unter Beweis, welche Vielfalt zeitgenössischer Musik die Szene im Großraum Frankfurt bietet. Auf dem Programm stehen Portraits von Komponisten der jüngeren und ganz jungen Generation ebenso wie von etablierten: etwa Ernstalbrecht Stiebler oder Rolf Riehm. Geboten werden Instrumental-, elektronische und Schallplatten-Musik, konzertante Hörspiele, Jazziges und Experimentelles. Mit dabei sind viele namhaften Interpreten: darunter das Ensemble Modern, das Vokalensemble belcanto, der Blockflötist Jeremias Schwarzer und sogar das kanadische Quatuor Bozzini. Gewöhnlich sind derart hochkarätige Musiker bei internationalen Festivals und Veranstaltern zu Gast – in den Konzerten der FGNM sind sie auch zu erleben und zwar bei freiem Eintritt!


O-Ton 5 Julia Cloot
„Ich glaube ganz charakteristisch ist die Verbindung von regionaler Anbindung mit überregionaler Qualität. Insgesamt haben wir versucht, den herkömmlichen und manchmal etwas überstrapazierten Neue-Musik-Begriff auszuweiten.“

 

Autorin 5
So die Vorstands-erprobte Julia Cloot, zudem Leiterin des Instituts für zeitgenössische Musik an der Frankfurter Musikhochschule. Ihr FGNM-Kollege Robin Hoffmann ergänzt:


O-Ton 6 Robin Hoffmann
„Wir wollen Musik als Musik. Und nicht als Accessoire. Wir wollen die ansprechen, die quer denken wollen und quer hören wollen.“

 

Autorin 6
Und darum schlagen die umtriebigen Querdenker und Querhörer der FGNM selbst immer wieder neue Wege ein. Was gemacht wird, entscheidet ein vierköpfiger Vorstand. Und der wechselt regelmäßig – das sorgt für frische Ideen. Auf diese Weise entstehen in sich geschlossene Veranstaltungs-Serien mit unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten und Partnern: etwa die Gesprächsreihe „Resonanzen“ zum Thema „Experiment“; die Konzertreihen „Zwei“ und „Chiffren“ oder „Mind the Gap“ mit sechs Konzerten und vier Gesprächsrunden zum Thema „Klangkunst“.
Inzwischen schon bewährte Tradition ist hingegen, dass jede Reihe an einem anderen, kleinen und zentral in Frankfurt gelegenen Veranstaltungsort stattfindet.


O-Ton 7 Robin Hoffmann
„Wenn das Publikum uns auf die Weise folgt so von Jahr zu Jahr, dann lernt man auch ein bisschen die Stadt kennen und auch kennen, was man wo noch alles besuchen kann. Das finde ich eine sehr schöne Aufgabe.“


Autorin 7
Musikalische Stadterkundungen – eine besonders schöne Form der Vernetzung. Doch nicht die einzige: Einmal im Monat verschickt der Verein einen E-Mail-Newsletter mit allen Veranstaltungen zeitgenössischer Musik im Rhein-Main-Gebiet. Künstler und Institutionen können ihr Programm kostenlos in den Newsletter eintragen, Interessierte können ihn kostenlos abonnieren. Vernetzung steht schließlich bei der Arbeit der FGNM an oberster Stelle. Nicht allein zwischen den Musikschaffenden, sondern natürlich auch zwischen Künstlern und Publikum.
Und die von der FGNM ausgelegten Konzert-Klangspur hat seit 2003 vom „Haus für Kultur“ etwa zur Frankfurter Musikhochschule oder 2010 und 2011 ins Haus am Dom geführt und 2012 ins Instituto Cervantes.
Ganz nebenbei wird so nicht nur auf lokaler Ebene Integrationsarbeit geleistet, sondern auf europäischer. So sieht es die Leiterin des Instituto Cervantes Mercedes de Castro:

 

O-Ton 8 Mercedes de Castro
„Die Kultur kommt zu kurz bei diesen europäischen Fragen. Man redet immer von Euro, Euro, ... und wie ist die Gefühle von die Europäer? Wenn man nicht zusammenarbeitet, wenn man sich nicht kennt, hat man wenig diese Zugehörigkeitgefühl zu eine gemeinsame Kultur. Natürlich mit ihren Differenzen, aber man wird bereichert. Fremde Augen sehen viel mehr als eigene Augen.“

 

Autorin 8
Und fremde Ohren hören mehr als die eigenen. Das weiß auch das Frankfurter Ehepaar Alexandra und Werner Strachotta, regelmäßige Besucher der FGNM-Konzerte:

 

O-Ton 9 Strachotta
„Um ganz ehrlich zu sein, das hat mit der Gesellschaft ansich erstmal gar nichts zu tun. Die war uns auch unbekannt. Wir sind fleißige Besucher der Veranstaltungen im Haus am Dom. Und diese Reihe hier, die fanden wir halt sehr interessant, weil sie uns die Möglichkeit gibt, mal Einblick in die Entwicklung der Neuen Musik zu bekommen.“

 

Autorin 9
Schließlich wendet sich die FGNM beileibe nicht nur an Experten. So Julia Cloot:

 

O-Ton 10 Julia Cloot
„Wir sprechen eben kein Spezialpublikum an. Wir sprechen das Spezialpublikum auch an, aber wir haben durch die Wahl der zentralen Veranstaltungsorte auf jeden Fall den Anspruch erfüllen können, auch für ein breiteres gemischtes Publikum Programm anzubieten.“

 

Autorin 10
Zum Erfolg trägt – neben der Wahl des Ortes und hochrangigen Programmen – auch die Form der Konzerte bei: Einmal im Monat, in ungezwungener Atmosphäre hat das Publikum die Gelegenheit, Künstler und ihre Musik wirklich hautnah zu erleben. Dazu Hannes Seidl und Werner Strachotta:


O-Ton 11 Hannes Seidl
„In dem Moment, wo man sagt, man möchte kammermusikalisch arbeiten oder man möchte eine bestimmte Qualität haben, die wir da in der zeitgenössischen Musik haben, man kann gar keine Räume mit wesentlich mehr als 70 Leuten füllen. Umgekehrt ist es natürlich so, dass wir keine Großevents machen, aber das liegt ja auch gar nicht in dem Interesse dieses Vereins, sondern es geht hier wirklich um den Austausch.“

 

O-Ton 12 Strachotta
„Man kennt die Leute dann auch schon vom sehen, die kennen uns und das ist dann schon fast wie ein familiäres Treffen. Ob wir asiatische Komponisten kennengelernt haben. Das macht auch Spaß, mit denen sich zu unterhalten. Ob man das mag, ist ne ganz andere Geschichte, aber dass so etwas in der Art stattfindet, finden wir wirklich toll.“

 

Autorin 11
Aber schließlich muss man ja nicht alles mögen. Beeindruckend ist die von der FGNM geleistet Arbeit allemal. Dahinter steckt viel Erfahrung, Kenntnis und vor allem: persönliches Engagement. Programme müssen geplant, Gelder akquiriert, Flyer erstellt, Technik organisiert, Gagen ausgehandelt und – nicht zu vergessen: Getränke besorgt werden. Der Verein stemmt mit wenigen Mitteln und ehrenamtlich alles, was für eine gelungene Veranstaltung notwendig ist. Präsentiert ohne jeglichen Dünkel, was die zeitgenössische Musik zu bieten hat: vom Streichquartett bis zur Clubhaus-Musik. Eigentlich das Paradies für Querdenker und Querhörer.

 

Musik 4 zum blenden auf Zeit
Christian Ridil: Sisifo, 4. Satz für Streichquartett
hr-Archiv
0'00-6'27 (CD 4, Track 5, Archiv der FGNM)