zehnmal zwei

DIE KONZERTREIHE «ZWEI» DER FRANKFURTER GESELLSCHAFT FÜR NEUE MUSIK

 

VON BASTIAN ZIMMERMANN


Zwei können sich mögen, sich ergänzen, vergleichen, kommentieren, kritisieren, spiegeln, integrieren, befremden, neu beleuchten, verstehen, irritieren, kontrastieren, interpretieren, motivieren, nahe sein, fern sein, verdeutlichen, abrunden, abstoßen, verbinden.» Wenn in der Rede von der heutigen Übermacht funktionalisierter Beziehungen unter den Menschen die Liebe häufig einer der letzten Bereiche zu sein scheint, in dem das Leben und Erleben des Anderen voll berücksichtigt wird, fragt man sich, ob nicht vielleicht auch andere Sphären dazu in der Lage sind. Was sich hier zunächst wie ein Überlebensprogramm für Liebende liest, könnte bei genauerem Hinsehen ein kommunikatives Raster für viel mehr sein, zum Beispiel für die Kunst.

Der einleitende Satz stammt aus dem Programmflyer der seit Oktober 2010 laufenden Konzertreihe «ZWEI» der Frankfurter Gesellschaft für Neue Musik (fgnm), die im regelmäßigen Abstand jeden zweiten Mittwoch eines Monats im Haus am Dom in Frankfurt am Main zur Beobachtung einer neuen Zweier-Beziehung einlädt.

 

Von der Konstellation zweier Instrumente - der Blockflöte Miako Kleins und der Trompete Sava Stoianovs -, zweier Generationen - u. a. Kompositionen Iannis Xenakis' und Antje Vowinckels -, zweier Solisten - der Lautsprechermusik Jan Jacob Hoffmanns und der Kontrabassklarinette Theo Nabichts-, bis hin zu den zwei Trios der gleichen Besetzung - dem Trio Nexus und einem neuen Ensemble, bestehend aus Mitgliedern der Ensemble Modern Akademie -, wurde kaum eine Möglichkeit der Gegenüberstellung ausgelassen.
Sogar ein «Dialog mit sich selbst» wurde beispielsweise im Mai diesen Jahres von dem österreichischen Kontrabassisten Uli Fussenegger initiiert, in dem sich der Musiker in einem Lautsprecher-Zuspiel mit zuvor aufgenommenen Klängen konfrontiert sah. Die Loops from the 4th district entstanden nach einem Audio-Spaziergang von der Wohnung Matthias Spahlingers in ein traditionelles Kaffeehaus, wo man sich Fussenegger als einen neuen Salonmusiker imaginieren konnte. In Toy music breitete Fussenegger virtuos jede denkbare Zweckentfremdung des Kontrabasses aus.


Selbst in einer realen Zweier-Konstellation, wie sie im Juni-Konzert des Komponisten und «Wunschmaschinen»-Spielers Bernd Thewes und des Trompeters Paul Hübner Realität wurde, kam es zu keinem kommunikativen Bruch. Inspiriert durch das Konzept eines maschinell-produktiven Unbewussten bei Deleuze und Guattari präsentierte Thewes seine «Wunschmaschine», die das ihr eigene Prinzip des (Be-) Spielens durch einen unbefangenen Umgang und Ironie auf die Spitze trieb. Ein Dutzend Lautsprecher waren mit einem Computer verschaltet; verschiedenste Aufbauten leiteten die Klänge über Rohre und Schläuche in neue Resonanzkörper weiter. Eine Bassmembran versetzte, wenn sie ordentlich Tieftöne abgab, Schlägel in Form ausgekochter Hühnerknochen in Bewegung, die ihrerseits eine Hawaii-Gitarre anspielten. Die Maschine, teils programmiert, teils über Improvisationen angetrieben, bekam mit der Zeit eine klanglich-morbide Eigendynamik. Insbesondere als der Schlagzeug-Part, über MIDI in ein Aldi-Keyboard gesandt, sich mit den Klängen der Doppeltrichtertrompete Hübners, die über einen Schlauch mit einem verstärkten Kanister verbunden war, vermischte, nahm das gemeinsame Spiel groteske Züge an. Furcht musste man vor der Maschinerie nicht haben, zu zerbrechlich war sie in ihren Bewegungen. Jedoch stellten die klanglichen Gesten ihrer Ärmchen und Fühler so disparate Elemente einander gegenüber, dass sie der Maschine etwas Lebendiges, aber Uneinschätzbares gaben, ähnlich einer neuen, faszinierenden Bekanntschaft, vor der man sich noch etwas zurückhält, weil sie eine eigene, zuvor nicht gekannte, aber irgendwie vertraute Sprache spricht.


Das Konzert mit Bernd Thewes und Paul Hübner war in dieser programmatischen Zuspitzung sicher der Höhepunkt der insgesamt zehn Konzerte der Reihe «ZWEI», die außerdem noch vom aus vier Posaunen bestehenden «composers slide quartet» sowie den Elektronikern Miha Ciglar und Miha Horvat bestritten wurde. Letztere gaben sich etwa der analogen Utopie eines ewigen Daten- und Kommunikationsflusses hin, indem sie Strom durch Fernseher, Gitarren, Magnetfelder, Mischpulte und ihre eigenen Körper leiteten und diesen in Bild und Ton übersetzten. Die Widerstände und Reibungsflächen, die die analoge Technik zu bieten hat, sind sicher als eine Position zu sehen, die gegenüber den widerstandslos-digitalen Netzwerkkonstellationen unserer Zeit, ausgestattet mit Facebook und Smartphone, nicht fehlen darf.


Jemanden Zweites muss es geben, der die eigene Position in ein produktives Verhältnis rückt, und das nicht nur in der Liebe. Selbst für einen Instrumentalsolisten tut der Widerstand eines, wenn auch imaginären, Anderen gut. Oft erwachsen erst daraus die befruchtenden Momente. Die fgnm hat sich diesem sehr weitreichenden Thema in der Saison 2010/11 zehnmal auf musikalischer Ebene gestellt und im Aufzeigen des Spektrums an Zweier-Konstellationen ein spannendes Programm realisiert.

 

Ab Februar kommenden Jahres wird die fgnm ihre Konzertreihe FERNBEZIEHUNG im Frankfurter Instituto Cervantes mit einem Spanien-Schwerpunkt
fortsetzen.

 

Neue Zeitschrift für Musik 04/2011, S.74

 

siehe dort Fotos:

 

1. LINKE SEITE: ULI FUSSENEGGER IM
DIALOG MIT SICH SELBST

 

2. DIE "WUNSCH MASCHINE .. BEI DER
ARBEIT. PAUL HÜBNER AN DER TROMPETE
UND BERND THEWES. HINTER DEN AUF·
BAUTEN VERSCHWUNDEN

 

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