Geschichte, Hoffnung, Utopie
Oliver Augst, Marcel Daemgen und Bernhard Reiss feiern das Lied, die Arbeit und das Arbeiterlied

VON TIM GORBAUCH

 

Es gibt Themen, die bleiben. Die nie bearbeitet sind. Nie sagen: genug jetzt. Marx etwa. Oder Eisler. Heimat. Lied. Volkslied. Oliver Augst und Marcel Daemgen beschäftigen sich seit Jahren in verschiedenen Formationen damit, mal als Live-Projekt, mal als Musiktheater, mal als Studioproduktion. "Arbeit" etwa heißt eines dieser Ensembles, Christoph Korn gehört dazu. Drei CDs haben sie in den letzten zehn Jahren erarbeitet, Brecht/Eisler, Volkslied und Marx. Öffentlich sind sie nie aufgetreten. Insofern hat ihr Konzert, das 27. der Reihe "frequenzen" im "raum für kultur" der Dresdner Bank, den Charakter einer Uraufführung. Auch die Besetzung hat sich verändert, statt Christoph Korn sitzt Bernhard Reiss links auf der kleinen Bühne. Reiss spielt Schlagzeug, Daemgen beugt sich über seinen Laptop und arbeitet mit elektronischen Störgeräuschen und unterschiedlichen Samples, Augst singt.

Die Themen werden in Blöcken abgehandelt, Brecht/Eisler zuerst, dann das Volkslied, schließlich Marx. Die Grenzen aber sind fließend, das Schöne, Faszinierende des Materials war seit je assoziative Breite und inhaltliche Tiefe. Und so ist auch alles nie nur einfach Lied, sondern durchdrungen von Geschichte, Aneignung, Verweigerung, Hoffnung, Utopie. Das ist vehement zu hören in der Art, wie Augst, Daemgen und Reiss sich ihren Stücken nähern, wie sie mit den Klischees kokettieren, die ihrem Material inne wohnt, wie sie die Nostalgie enttarnen, mit denen alle, Eisler, Marx, das Volkslied, immer wieder vereinnahmt werden. Und wie sie doch auch immer die ursprüngliche Kraft der Idee nie aus dem Blick verlieren, gerade weil sie sich ihr nicht naiv hingeben. Unmittelbare Momente sind rar. Die Musik, die Performance ist zugleich ihr eigener Kommentar.

"Arbeit" ist stets auch Recherche, Sammlung, Analyse. Augst, Daemgen und Reiss zitieren Gefundenes, verfremden, vergrößern es, ordnen es neu. Manchmal vergrößern sie auch das Pathos des Originals. Mit Eislers Vertonung des "heimlichen Aufmarschs", einer Hymne der Arbeiterklasse, und dem faustreckenden Aufruf zur sozialistischen Weltrepublik geht der Abend zu Ende. Die Dresdner Bank ist dafür kein schlechter Ort.

 

FR online 2006
Erscheinungsdatum 16.09.2006